TEAMARBEIT AM GEBIRGSBACH

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Bist du blind? Die musst du doch sehen! Einen halben Meter hinter dem Stein, der links aus dem Wasser schaut!». Ich kann die Forelle, auf die mich mein Bruder gestenreich hinzuweisen versucht, beim besten Willen nicht sehen. «Da! Jetzt ist sie sogar gestiegen. Die hat bestimmt 35 Zentimeter!» Vorsichtig steige ich aus dem Wasser und gehe zu meinem Bruder, der nur wenige Meter stromab auf einer Brücke steht. «Oh ja, das ist eine Gute!» Jetzt kann ich sie auch sehen. Die Forelle steht tatsächlich genau dort, wo ich sie mehrere Minuten vergeblich gesucht habe. Durch die erhöhte Position habe ich nun ein viel besseres Sichtfeld und kann den Fisch klar und deutlich erkennen. Die Bachforelle befindet sich hinter einem aus dem Wasser ragenden Stein und in regelmässigen Abständen schert sie zur Seite aus um sich etwas Fressbares von der Oberfläche der vorbeifliessenden Hauptströmung zu pflücken. Während wir die Forelle bei der Nahrungsaufnahme beobachten, entdecken wir auf der anderen Bachseite einen zweiten, kleineren Fisch. Wenn wir die grosse Forelle fangen wollen, müssen wir an der kleineren vorbei, soviel steht fest. Denn die «Grosse» können wir nur von der Stelle anfischen, welche im Moment von der «Kleinen» besetzt ist. Die schnelle Strömung verhindert eine Präsentation von einer anderen Position aus. Bei einer unvorsichtigen Vorgehensweise würden wir die Jungforelle verscheuchen und damit wahrscheinlich auch die grosse Schwester alarmieren.

Im Sommer ist die Trockenfliege Trumpf.

Verflixt!

Also brauchen wir einen Plan: Wir wollen zuerst die kleine, wahrscheinlich untermassige Forelle von ihrem Standplatz weglocken und uns dann ideal positionieren, um die «Grosse» anzuwerfen. Gesagt, getan; Vorsichtig begeben wir uns in Position. Mein Bruder entfernt den Haken von einer Grizzly-Parachute, macht zwei Leerwürfe und legt die Trockenfliege 50 Zentimeter neben der kleinen Forelle aufs Wasser. Der Fisch dreht sich, jagt der abtreibenden Fliege hinterher und schnappt nach der buschigen Parachute. Als die Forelle den Betrug bemerkt, befindet sie sich bereits zwei Meter stromab von ihrem Einstand, spuckt die hakenlose Fliege aus, erblickt den Übeltäter und flüchtet unter einen Stein. Nun haben wir freie Bahn und widmen uns der für diese Höhenlage schon fast kapitalen Bachforelle, wir sind immerhin auf rund 1600 m.ü.M. Ich montiere die gleiche Trockenfliege, diesmal allerdings mit Haken, gehe in Stellung und ziehe zwei Meter Schnur von der Rolle. Die Nervosität steigt und mit einem halbwegs gelungen Wurf landet die Fliege in der Futterbahn der Forelle. Sofort bemerkt sie die abtreibende Imitation, zögert kurz und entschliesst sich dann die Fliege vorbei treiben zu lassen. Nach einem weiteren erfolglosen Versuch muss ein anderes Muster ans Vorfach. «Nimm doch eine Royal Wulff», meint mein Bruder. Meine Wahl fällt aber auf eine braune CDC-Fliege, die sich schon oft bewährt hatte, wenn die Parachute nicht funktionierte. Diesmal will ich der Fliege ein wenig mehr Vorlauf geben, damit sie sich länger im Sichtbereich der Forelle befindet. Die Fliege landet, die Bachforelle steigt, nimmt die Trockenfliege, ich hebe die Rute, der Fisch hängt… und befreit sich mit einem akrobatischen Sprung vom Haken. «Verflucht!», ich ärgere mich, «die hatte doch so schön gebissen. Ich glaub die hatte sogar mehr als 35». «Jetzt kannst du auch behaupten, sie hätte 50 Zentimeter gahabt… du hast viel zu früh angeschlagen!», entgegnet mein Bruder spöttisch.

Es passiert uns immer wieder, dass wir bei der Sichtfischerei den Anhieb zu früh setzen – vor allem bei grösseren Fischen. Da diese meistens nicht so stürmisch nach der Fliege schnappen, braucht es länger bis der Fisch nach der Attacke abdreht und sauber im Mundwinkel gehakt werden kann. Wenn man die Nerven besitzt ein bis zwei Sekunden zu warten, ist die Bissausbeute viel besser.

Saiblinge stehen auf Schwarz!

Auf leisen Sohlen

Es ist schon fast neun Uhr und die Sonne fängt an das Hochtal zu erwärmen. Wir verstauen unsere Pullover im Rucksack, trinken ein wenig Bachwasser und ziehen weiter. Wenn wir in den Bergen mit der Fliegenrute unterwegs sind, fischen wir meistens im Tandem. Wir schleichen bergwärts dem Bach entlang und suchen Fische. Abwechselnd befischen wir die gesichteten Salmoniden. Derjenige der nicht fischt, ortet den Zielfisch, gibt gute Tipps und platziert unnötige Kommentare. Es gibt Tage da machen wir nicht mehr als 25 Würfe. Der grosse Vorteil bei der Sichtfischerei ist, dass man selektiv fischen kann. Dadurch kann man verhindern die kleinen Fische zu verangeln und völlig gesetzeskonform das eigene Schonmass festlegen. Ausserdem macht es einfach unglaublich viel Spass gemeinsam eine Forelle oder einen Saibling zu überlisten. Meistens machen wir bei dieser Art der Fischerei richtig Strecke und vergessen die Zeit. Auf dem Rückweg staunen wir dann, wie weit wir gekommen sind.

Leicht und locker

Da wir mehrere Kilometer wandern und klettern, versuchen wir möglichst wenig Gepäck dabei zu haben. Eine kurze Fliegenrute in der Schnurklasse drei oder vier, ein bisschen Vorfachmaterial und ein paar Trockenfliegen sind eigentlich alles, was man braucht. Dazu kommt ein wenig Proviant, der neben dem Pullover im Rucksack Platz finden muss. Da man hin und wieder den Bach quert, tragen wir meistens hüfthohe, atmungsaktive Wathosen und gute Watschuhe. Der mit Abstand wichtigste Ausrüstungsgegenstand ist allerdings die Polarisationsbrille. Neben dem Schutz vor der intensiven Sonneneinstrahlung ermöglicht sie den Blick durch die Wasseroberfläche. Ohne dieses Hilfsmittel würden wir die meisten Fische erst zu spät oder gar nicht entdecken.

Die kleine Fliegenauswahl

Weniger ist mehr

Die Auswahl der Fliegen gestaltet sich eher einfach. Die Salmoniden in der Höhe können es sich nicht erlauben wählerisch zu sein. Dafür ist die Saison, in der es im Gebirge etwas zu Fressen gibt, zu kurz. Ausserdem fliessen Bergbäche relativ schnell und dadurch haben die Fische wenig Zeit den dargebotenen Köder genau zu inspizieren. Eine gute Bergbach-Trockenfliege muss nur zwei Kriterien erfüllen: Sie muss selbst in schneller Strömung gut schwimmen und von Fisch und Fischer gut gesehen werden. Ich kenne Leute, die am Bergbach mit nur einem einzigen Fliegenmuster auskommen. Wir haben in der Regel etwa vier bis fünf verschiedene Muster dabei. Jedoch fischen wir zu 90 Prozent mit einer Grizzly-Parachute in der Grösse zwölf. Dazu gesellen sich meistens ein paar Humpys, Royal Wulffs und CDC-Duns, ebenfalls in der Hakengrösse zehn bis zwölf. Erstaunlicherweise stehen vor allem die Saiblinge total auf Schwarz. Deshalb darf natürlich auch eine schwarze Parachute nicht in der Fliegenbox fehlen.

Auch bei der Wahl des Vorfachs halten wir es simpel. Wir kürzen ein konisch verjüngtes Vorfach auf eineinhalb bis zwei Meter und versehen es mit etwa 50 Zentimeter 18er-Monofil. Bei der Fliegenschnur bevorzugen wir eher kurzkeulige Exemplare. Sie ermöglichen, selbst bei kürzesten Distanzen, saubere und präzise Würfe. Nachdem wir im Verlauf des Tages ein paar schöne Bachforellen und Saiblinge an die Trockene locken konnten und mindestens genauso oft kläglich gescheitertsind, machen wir uns am späteren Nachmittag auf den Rückweg. Wir entdecken viele schöne Wildblumen, suchen nach frischen Heidelbeeren und geniessen die Bergwelt. Als wir bei der Brücke ankommen, bei der wir am Morgen gestartet sind, überkommt uns nochmals das Jagdfieber. Allerdings können wir die Prachtsforelle nicht mehr entdecken. Der Schock von heute Morgen scheint nicht spurlos an ihr vorbei gegangen zu sein. Doch wir wissen nun wo sie steht. Und wir kommen wieder!

Schönes gibt es auch abseits des Wassers.

 

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