DER QUERDENKER

Zeichnung: Tanja Binder

Angler – alles Beckenrandschwimmer?

Die Sommerferien sind für die Mehrheit von uns leider bereits Vergangenheit. Ebenso werden die Träume von den letzten grossen Angelabenteuern, von welchen wir vor den Ferien geträumt hatten, unterdessen verblasst sein. Nur wenige werden sich den Traum vom weit entfernten und fischreichen Ziel erfüllt haben. Das Gros wird seine Ferien, um den Hausfrieden nicht zu gefährden, mit der Familie eher am Mittelmeer, denn in Alaska, Island oder Kasachstan verbracht haben. Wenigstens konnte damit die Nähe zum Wasser mitgebucht werden. Deshalb fuhr gegen Süden auch die Angelausrüstung mit, in der Hoffnung, den einen oder anderen Versuch machen zu können. Dass einem am Badestrand die Stechmücken wie am Lachsfluss im Norden empfangen, darauf hätte jedoch getrost verzichten werden können.

Ist das Ferienziel im Glutofen Auto endlich erreicht, steht dem kühlen Sprung ins Nass nichts mehr im Wege. Die Kinder kundschaften den Strand aus und schnorcheln die ersten Buchten ab. Anschliessend wird in Hemingway Manier über die vorgefundene Unterwasserwelt begeistert berichtet. Vom Zebrafisch über den Riesen-Kraken bis zum farbenprächtigen Aquarienfisch à la Nemo. Dann die gefürchtete aber fast schon obligate Frage: «Papa, willst nicht auch tauchen?» Schneller als Usain Bolt sich aus dem Startblock katapultiert, kommt die Antwort des passionierten Anglers. «Angler tauchen doch nicht!» Die Jungmannschaft verdreht kurz die Augen und zieht kopfschüttelnd von dannen. Zurück bleibt ein leicht verunsicherter Vater mit ein paar Fragen im Kopf.

Wäre die Angel-Leidenschaft dieselbe, wenn die Fische vorher in ihrem natürlichen Lebensraum studiert und ihr Verhalten möglicherweise liebgewonnen würde? Bliebe der knallig leuchtende Meerbarbenkönig beim Tauchen nicht in besserer Erinnerung, als wenn er blutend released oder gar getötet wird und deshalb ganz rasch verblasst? Ist das der Grund wieso ich in meinem Freundeskreis  keinen Angler kenne, welcher auch tauchen geht?  Ist der Slogan «Angler tauchen nicht» somit eine Tatsache? Sind wir Angler lieber über der Wasseroberfläche und greifen höchstens beim Anlanden eines Fisches kurz hinein? Man hört ja auch immer wieder Geschichten, dass (Berufs)- Fischer ertrunken sind, weil sie nicht schwimmen konnten.

Am Abend im Restaurant direkt am Strand bestellt die Familie die ligurische Frutti di Mare Platte als Vorspeise. Die vor paar Stunden innig geliebten und emotional bereits zum Haustier hochstilisierten Wassergeschöpfe werden in ihrem knusprigen Bierteig-Mäntelchen restlos von den hungrigen Mäulern weggeputzt.

Wir Menschen vergessen sehr schnell. Das Gedächtnis löscht oder verdrängt auch positive Erinnerungen. Gut so denke ich und schnappe mir die Taucherbrille…