SELEKTIV ENTNEHMEN

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Die Entnahme, also das Abschlagen und verwerten von gefangenen Fischen, ist in Anglerkreisen ein heiss diskutiertes Thema. Begriffe wie «C&R», «nachhaltige Fischerei» und insbesondere die «selektive Entnahme» sind in aller Munde. Dass die Sache nicht ganz so einfach ist, möchte ich in diesem Artikel unter anderem mit einigen Fallbeispielen darstellen.

Von Nino von Burg

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Fall 1
Rogner schonen

Auf meine Frage, ob sie beissen, präsentiert mir der Fischer stolz eine gut 40 cm lange Äsche, die er in einem feuchten Leinentuch bei sich trägt. Ein schöner Fisch! «Ich habe bis jetzt nur eine Untermassige erwischt», muss ich ihm gegenüber eingestehen. Der Fischer kramt in seiner Weste und zückt sein Handy. «Das ist ja noch nicht alles! Schon nach fünf Minuten hatte ich den ersten Biss auf meine selbstgebundene Nymphe. Schau dir diese riesige Fahne an!» Ich bin beeindruckt. Mit einem Wisch über das Handydisplay zeigt er mir das nächste Bild. Auch die zweite Äschenfahne ist der Wahnsinn und übertrifft wohl im Ausmass die Gesamtlänge meines bisher einzigen Fanges. «Die beiden Traumfische habe ich allerdings zurückgesetzt. Die Fische sollen im Frühling ablaichen und für viel Nachwuchs sorgen. Es gibt hier am Fluss leider viele Angler, die alles abschlagen. Mir reicht doch dieser eine Fisch. Meine Frau und die Kinder essen sowieso nur Steak! Ich bin für selektive Entnahme.»

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Kommentar:

Da macht sich jemand Gedanken. Er entnimmt nicht mehr als er zu verwerten gedenkt. Genau so soll es sein…oder? Leider nicht unbedingt. Die beiden von ihm zurückgesetzten Äschen waren ohne Zweifel praktisch ausgewachsene Milchner (grosse und vor allem langgezogene Fahne). Beim Fisch aus dem Leinentuch handelte es sich dagegen um einen Rogner in bester Fortpflanzungskondition. Leider sind die Milchner in diesem und in vielen anderen Flüssen klar in der Überzahl. Bei der Vermehrung braucht es aber vor allem viele Weibchen. Die Gesamtzahl der abgelegten Eier ist viel entscheidender für das Ausmass der Naturverlaichung als die Anzahl Samenspender. Wahrscheinlich wäre es also sinnvoller gewesen, die beiden Männchen zu entnehmen und das Weibchen wieder schwimmen zu lassen

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Fall 2
Starke Fische schonen

Es ist unglaublich. Bei jedem zweiten Wurf schnappt sich eine Bachforelle die Trockenfliege. Auffälligerweise sind die Forellen alle gleich gross und haben beschädigte Flossen. Mit knapp 30 cm sind es trotzdem gute Portionsfische, bestimmt sehr schmackhaft mit etwas Butter in der Bratpfanne. Während ich stromauf fische, begegnet mir nach einiger Zeit ein stromab fischender Kollege am Flussufer. Die Begrüssung ist freundlich und wir tauschen uns kurz aus. «Hast du auch so viele Massforellen gefangen?», fragt er mich. «Ja war bei mir genauso», antworte ich, «habe bis jetzt nur solche 28er aus dem Massfischbesatz gehakt». Er war allerdings etwas erfolgreicher. In seinem Rucksack liegen zwei herrliche Bachforellen, 35 und knapp 40 cm lang. Es sind wahre Traumfische für diesen von der PKD (Nierenkrankheit) gebeutelten Fluss. Makellose, grosse Flossen lassen vermuten, dass es Naturfische sind. Zumindest ist davon auszugehen, dass sie nicht aus dem gleichen, diesjährigen Besatz stammen «Die beiden Fische habe ich mitgenommen, die ganzen 30er schwimmen wieder. Schonmass 28 cm ist doch eh ein Witz. Die sollen ruhig noch etwas wachsen. Ich muss ja nicht jeder Forelle den Kopf einschlagen. Ich bin für selektive Entnahme!»

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Strukturlosigkeit, PKD und das immer wärmere Wasser erschweren der Bachforelle das Leben in unseren Mittellandflüssen. Ein naturgewachsener Fisch in einer ansehnlichen Grösse ist eine Chance für die ganze Population.

Kommentar:

Da macht sich jemand Gedanken. Er entnimmt nicht mehr als er zu verwerten gedenkt, interpretiert dazu das gesetzliche Schonmass noch grosszügig (zu Gunsten der Fische). Genau so soll es sein…oder? Leider nicht unbedingt. Was der Fischer macht, ist definitiv «selektive Entnahme». Seine Selektionskriterien sind aber etwas fragwürdig. Er schont die Besatzfische aus dem Rundstromtrog. Viele von ihnen werden sich in freier Wildbahn nicht zurechtfinden und verhungern. Diejenigen, die lernen, dass nicht nur Pellets essbar sind, haben gute Chancen an der PKD zu verenden. Und welche Fische bekommen eine Füllung aus Petersilien und Zitronenscheiben? Diejenigen, die im Fluss aufgewachsen und gross geworden sind. Offenbar konnte ihnen auch die grassierende PKD nichts anhaben. Sie haben starke Gene, sind widerstandsfähig und perfekt an die Gegebenheiten im Fluss angepasst. Ihr Nachkommen wären für das Gewässer Gold wert (gewesen).

 

Fall 3
Keine Einschränkung

Die Barsche beissen! In Reih und Glied stehen wir an diesem bitterkalten Dezembermorgen im Hafen. Wir fangen gut. Egal ob Köderfischchen mit vorgeschaltetem Blei oder Gummifisch am Jigkopf – die Barsche spinnen heute einfach. Mein direkter Nachbar fängt unverschämt gut mit seinem rot ummantelten Blei und dem unscheinbaren Gummifischchen am Einzelhaken. Der Malerkübel neben ihm ist schon halb gefüllt mit Barschen zwischen 20 und 30 Zentimeter. Auch die meisten anderen Fischer haben keinen Grund zur Klage. Von hinten nähert sich eine Gruppe von jungen Fischern und steuert einen der wenigen freien Plätze an.

Es ist beeindruckend, wie sie ihre Twitchbaits mit dem kurzen Stöckchen und der Baitcaster auf Weite bringen und die Köder dann elegant zurückzupfen. Natürlich fangen sie nichts mit ihren viel zu hoch laufenden Wobblern, ein Grossteil der Barsche klebt förmlich am Seegrund. An einem warmen Sommerabend würden sie uns jedoch bestimmt sehr alt aussehen lassen – im wahrsten Sinn des Wortes! Einer von ihnen wechselt schliesslich auf ein tieflaufendes Wobblermodell mit langer Schaufel. Nach einigen Würfen ist es soweit und er landet ebenfalls einen der kleinen Barsche. Der Fisch wird kurz begutachtet und landet dann wieder im Wasser. «Hier hat es wohl nur Minis», sagt er zu seinen Kollegen in einer Lautstärke, dass es auch die Fischer im nächsten Hafen hören. Kurzum werden die Köder am untersten Rutenring eingehängt und die Gruppe macht sich auf zum nächsten Spot. Als sie an meinem Nachbar mit dem mittlerweile zu dreiviertel gefüllten Eimer vorbeilaufen, bemerken sie abschätzig: «Die armen Babybarsche! Noch nie etwas von selektiver Entnahme gehört? Fleischfischer!»

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Kommentar:

Da machen sich junge Fischer Gedanken. Sie hinterfragen das Verhalten der alten Hasen und bewerten das Erlebnis «Fischen» nicht nur nach dem Fangerfolg. Genau so soll es sein…oder? Leider nicht unbedingt. In vielen Voralpenseen (z. B. in dem Beschriebenen) hat es mehr als genug Barsche. Manchmal sind sie nicht ganz leicht zu fangen, manchmal schon. Aufgrund der Abnahme des Nährstoffgehalts im Wasser wachsen sie nicht mehr so schnell. Im Gegensatz zu den Felchen und dem Hecht profitieren sie nicht von der «Gesundung» der Voralpenseen. Im hier vorliegenden Fall ist eine selektive Entnahme (nach welchen Selektionskriterien auch immer) relativ sinnlos. Es ist eine der wenigen Situationen, wo ein voller Malerkübel mit Fischen nichts anderes ist als ein erfolgreicher Fischertag, eine verdreckte Küche und ein leckeres Mahl. Und wenn dann noch ein paar Filets für den Tiefkühler übrig sind, kann man dafür die Pangasius im Supermarktregal liegen lassen.

Alles andere als einfach

Bei der Ausübung unserer Passion entscheiden wir über Leben und Tod. Das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Derjenige, welcher jeden Fisch abschlägt, den er fängt, hat es am einfachsten. Er muss nur die geltenden Bestimmungen beachten und beschafft sich im Rahmen des Erlaubten Nahrung.

Wer sich hingegen um die Fischbestände sorgt, weil er vielleicht Kinder hat, die morgen auch noch etwas fangen sollen, steht vor einem Problem. Dass vor allem die Edelfischbestände in unseren Gewässern stark unter Druck stehen, ist kein Geheimnis. Viele Fischer stellen deshalb den Anspruch an sich selbst, die Fischerei nachhaltig zu betreiben. Doch was ist nachhaltig? Für Einige heisst die Antwort «Catch and Release». Ist aber «C&R» wirklich mit unseren Wertvorstellungen im Bezug auf Tiere vereinbar? Viele beantworten diese Frage mit einem klaren Nein.

Anstelle dessen plädieren diese Angler für eine massvolle, beziehungsweise selektive Entnahme. Und nun wird es richtig kompliziert. In dem Moment, wo man anfängt zu selektionieren, lädt man sich eine sehr grosse Verantwortung auf die eigenen Schultern. Nach welchen Kriterien soll ich denn über Leben und Tod entscheiden? Die Politik und die Behörden, welche uns die Rahmenbedingungen für unser Hobby vorgeben, helfen uns da nicht. Sie haben in den meisten Fällen schlicht und einfach keinen blassen Schimmer von Fischen. Ihr primäres Ziel ist es gewählt und bezahlt zu werden. Dann gibt es da noch die Wissenschaftler, welche die Politiker und die Behörden beraten. Die Wissenschaft hat in den letzten Jahren grosse Fortschritte im Verständnis der Unterwasserwelt gemacht. Von ihnen können wir aber nur eindeutige Aussagen erwarten, wenn sie sich der Sache zu hundert Prozent sicher sind. Das braucht viel Zeit. Und diese Zeit haben unsere Edelfischbestände wahrscheinlich nicht.

Wenn wir einen Fisch im Kescher haben, gibt es niemanden, der uns helfen kann. Wir müssen darüber entscheiden, ob der Fisch weiterlebt oder stirbt und tragen für ihn und unser Handeln die Verantwortung. Deshalb sind wir moralisch dazu verpflichtet so gut wie nur irgendwie möglich abzuwägen. Dabei sind Wissen und ein gesunder Menschenverstand förderlich. Wer solche Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen fällt, verdient dafür Respekt – egal wie er sich entscheidet.

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Bachsaiblinge, wenn auch nicht einheimisch, bevölkern oft die Oberläufe von unseren Gebirgsbächen. Ohne menschliches Zutun bilden sie gesunde Populationen. Ein solches Prachtsexemplar ist durchaus schützenswert.

Faktenbox

Gründe einen Fisch zu releasen, obwohl er entnommen werden dürfte:
  • Wertvolles Laichtier (insbesondere Rogner)
  • Keine sinnvolle Verwertungsmöglichkeit (zu gross, zu klein usw.)
  • Entspricht nicht dem Zielfisch 
Gründe einen Fisch auf jeden Fall zu entnehmen (sofern die Entnahme erlaubt ist):
  • Put and Take Gewässer
  • Fisch hat keine Möglichkeiten zu laichen
  • Fisch wurde beim Fang verletzt (geringe Überlebenschancen)

 

Und für alle die diesen Artikel im Magazin-Layout mit allen Funktionen sowie weitere spannende Artikel anschauen möchte, siehe Ausgabe 5 – Januar/Februar 2017
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4 Kommentare

  1. Gratuliere, ein TOP Beitrag!!! Den Schlusssatz müssen wir uns Angler wirklich einprägen!! Wir sind es, die es schlussendlich in der Hand haben was die nachkommende Generation im Wasser vorfindet. Eine selektive Entnahme bringt trotz mancher Fehlentscheidungen auf lange Sicht bestimmt mehr Vorteile!! Und um Fehlentscheidungen so gering wie nur möglich zu halten ist es auch von enormer Wichtigkeit, unser Fachwissen in Bezug auf unseren Zielfisch und unser Gewässer stets zu erweitern. Den Angeln bedeutet einfach mehr als nur Fische fangen!!!!

  2. Sehen wir mal nach Holland, Belgien und Dänemark rüber. Hier wird zum Beispiel die Gesamten Einnahmen vom Verkauf der Fischereierscheine in die Fischerei Investiert und nicht wie bei uns einen Riesen Verwaltungsaparat wie Obere und untere Fischereibehörden betrieben.
    Bei den Europäischen Nachbarn gehört das Selectieren zum guten Ton.
    Und siehe da, da wird Außerordentlich gut Fisch gefangen.
    Also machen wir doch hier in Deutschland alles falsch, oder?
    Ich bin der Meinung das jeder Angler selbst entscheiden darf was er mit seinem Fang macht.

  3. Karl Gnadlinger am

    Was auch immer ,beim angeln haben wir zig Jahre viel falsch gemacht.Es bringt schon Lange nichts mehr wen man 365 Tage im Jahr trotz Schonzeit und und verschiedene schon maßen ,in fast schon Fischzuchten Angeln lässt.Habe nur mehr den Reitz beim Angeln in Naturbelassen Großen Seen und Flüssen .Und zwinge mich sicher nicht mit viel füttern.So manche Angler haben Jahrelang trotz Voller Kühltruhe, Fische leider immer mitgenommen ob sie die Fische verwerten konnten oder nicht ,man sie später wieder entsorgt weil sie Frostbrand und ungenießbar wurden und auch keinen Platz mehr in den Tiefkühltruhen hatten.Wer nur Angeln geht,um Fische dem Nachbarn zu schenken oder gar zu verkaufen,und wer Fische nicht verwerten kann,der sollte mal über ein anderes Hobby nachdenken.Angeln soll beruhigend sein,nicht Stress am laufenden Band.

  4. Ein guter Beitrag, Glückwunsch!

    Mit dem Passus «Die Politik und die Behörden, welche uns die Rahmenbedingungen für unser Hobby vorgeben, helfen uns da nicht. Sie haben in den meisten Fällen schlicht und einfach keinen blassen Schimmer von Fischen. Ihr primäres Ziel ist es gewählt und bezahlt zu werden. Dann gibt es da noch die Wissenschaftler…» diskreditiert sich der Autor allerdings.

    Erstens stimmt es überhaupt nicht, dass Behörden keinen blassen Schimmer haben. Zweitens – und jetzt wird’s richtig schlimm – ist es, der Wissenschaft diese Unwissenheit anzukreiden. Im Gegensatz zu den Stammtischpolterer, die induktiv durch einen beobachteten toten Fisch oder einen Schneidertag auf den Zustand des Gewässers schliessen, macht wissenschaftliche Arbeit häufig Sinn und kann helfen, politische Rahmenbedingungen zugunsten unserer Fische zu ändern. Dies schafft man aber nur mit dem Dialog und guter Information, und sicher nicht mit kurzsichtigem Schubladisieren in einem eigentlich gelungenen Artikel über ein ernsthaftes Thema.

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