«WINNER UND LOSER IM KLIMAPOKER» – GEWÄSSERORGANISMEN IM STRESS?

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Ein Äschenschwarm im Inn – bisher hat diese Art hier noch keinen Hitzestau. Bild: Markus Flück, WFN

Die heissen Sommer der letzten Jahre bringen die Fischbestände in verschiedenen Flussabschnitten an ihre Grenzen. Insbesondere die kälteliebende Äsche wird durch Wassertemperaturen über 25 Grad immer stärker bedroht. Als Verliererin des Klimawandels wird sie mittelfristig möglicherweise aus vielen Flüssen der Schweiz verschwinden. Ein Gewinner der steigenden Temperaturen ist dagegen der wärmeliebende Wels, der sich immer häufiger im Sommer erfolgreich fortpflanzen kann und dessen Bestände in Aare und Hochrhein seit einigen Jahren deutlich zunehmen.

Besten Dank an Aqua Viva für die Erlaubnis zur Verwendung dieses Artikels von Arthur Kirchhofer und Martina Breitenstein.

Die Temperatur ist ein wichtiger Faktor in unseren Ökosystemen, sie bestimmt Geschwindigkeit und Intensität des Stoffwechsels der Organismen und damit deren Wachstum und Aktivität. Für das Leben im Wasser ist die Temperatur von grösster Bedeutung, da alle Invertebraten und Fische wechselwarme Lebewesen sind. Ihre Körpertemperatur entspricht ungefähr der Umgebungstemperatur und sie sind nur beschränkt imstande, Temperaturen über ihrem artspezifischen Optimum über längere Zeit zu ertragen. Bei der Fischfauna unterscheiden wir in der Schweiz zwischen zwei verschiedenen Temperaturgilden:

  • kaltstenotherme Arten: Ihre Temperaturtoleranz ist gering, der ganze Lebenszyklus ist auf den niedrigen Temperaturbereich beschränkt (z. Bachforelle, Äsche).
  • eurytherme Arten: Diese Arten können grosse Temperaturunterschiede aushalten, je nach Lebensstadium (z. Wels, Nase, Alet).

Im Bereich der Präferenztemperatur, die vom Fisch bei freier Wahl aufgesucht wird, befinden sich Stoffwechsel, Wachstum und Verhalten im «grünen Bereich». Unter- und oberhalb dieses Temperaturbandes ist innerhalb gewisser Grenzen ein Überleben möglich, aber die Lebensfunktionen, insbesondere Wachstum oder Fortpflanzung, werden eingeschränkt oder verhindert. Diese optimalen und limitierenden Temperaturen sind artspezifisch und abhängig vom individuellen Entwicklungsstand. Das Temperaturregime in Fliessgewässern wird durch vielfältige natürliche und anthropogene Einflüsse geprägt und hat seinerseits eine herausragende Bedeutung für Gewässerökologie und Fischfauna.

Der natürliche Einfluss lässt sich in gross- und kleinräumig wirkende Faktoren zusammenfassen. Diese definieren ein natürliches Temperaturregime, das als Referenzzustand bezeichnet werden kann und einen typischen, sinusförmigen Jahres- und Tagesverlauf zeigt. Dieses natürliche Temperaturregime hat eine direkte Wirkung auf den Stoffwechsel und das Immunsystem. Die verschiedenen Entwicklungsstadien der Wassertiere sind eng mit dem Jahresverlauf der Gewässertemperatur verknüpft. Zusätzlich hat die Gewässertemperatur indirekte Wirkungen auf die aquatischen Lebensräume, zum Beispiel über den Sauerstoffgehalt im Wasser oder die Ausbreitung von Krankheiten.

Für die Bewohner grösserer stehender Gewässer stellen steigende Temperaturen nur ein geringes Risiko dar, da sie einer starken Erwärmung der Oberflächenschichten in kühlere Tiefen ausweichen können. Allerdings finden sie sich dann eventuell unterhalb der Schichten mit optimalem Nahrungsangebot. Wie uns die Berufsfischer verschiedener Seen melden, sind in den letzten heissen Sommern die Fänge der wertvollen Speisefische – insbesondere der Felchen – stark zurückgegangen, weil die Fische nicht nur in grösseren Tiefen leben, sondern auch langsamer wachsen und durch die Netzmaschen schlüpfen. Für die Biodiversität ist das nicht weiter dramatisch, für das uralte Gewerbe der Berufsfischerei jedoch sehr wohl.

Dramatischer ist die Situation in den Fliessgewässern als Folge der zunehmenden Klimaerwärmung und der Abfolge von Rekordtemperaturen in den vergangenen Sommern. Die Diversität der Fischfauna nimmt flussabwärts tendenziell zu, was unter anderem auch auf die mit zunehmender Quellentfernung stärkeren Temperaturschwankungen im Jahresverlauf zurückgeführt wird. Die räumlich-zeitliche Heterogenität der Temperatur-Verhältnisse schafft gleichsam temporäre thermische Nischen für Arten mit sehr unterschiedlichen Ansprüchen. Tiefe Temperaturen bewirken in der Regel eingeschränkte Aktivität und verlangsamte Entwicklung und Wachstum. Höhere Temperaturen dagegen haben einen beschleunigten Metabolismus mit schnellerem Wachstum der Individuen zur Folge, was aber nicht immer gleichzusetzen ist mit einer höheren Produktivität der ganzen Population. Auf suboptimale Temperaturverhältnisse können die Fische normalerweise mit Verhaltensänderungen oder Ausweichreaktionen reagieren. Treten jedoch zu hohe Temperaturen auf und können die Fische diesen nicht ausweichen, kann dies zu gravierenden physiologischen Problemen und im Extremfall zum Tod führen.


Die Äsche – eine Klimaloserin

Die Äsche (Thymallus thymallus) ist eine kaltstenotherme Fischart, die sich in arktischen und subarktischen Gewässern am wohlsten fühlt und die Fliessgewässer des alpinen Raumes nacheiszeitlich von Norden her erobert hat. Sie weist eine relativ enge Bandbreite von Optimaltemperatur und Temperaturen mit erhöhtem Stress auf. Mit einer Letaltemperatur von  24 bis 26 Grad (je nach Akklimationsdauer und -temperatur und Dauer der Einwirkung, gemäss Küttel et al. 2002) ist sie wohl die temperaturempfindlichste Fischart unserer Fliessgewässer. Bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts waren die maximalen Sommertemperaturen mehrheitlich problemlos. In den letzten 20 Jahren dagegen beobachten wir mit dem Klimawandel zunehmend häufiger ein Überschreiten der für die Äsche letalen Wassertemperatur. Wird die Entwicklung der Jahresmaximaltemperaturen von 13 Äschengewässern der Schweiz über eine längere Zeitspanne analysiert, wird sichtbar, dass in über der Hälfte der Gewässer die Letaltemperaturen in einem oder mehreren Sommern überschritten wurden und nur in knapp der Hälfte der Äschenflüsse die sommerlichen Höchsttemperaturen (bisher) noch nicht bedrohliche Ausmasse erreichten (Abb. 2). In den Hitze sommern 2003, 2015 und 2018 wurden die letalen 26 Grad an vier bis sechs (von zwölf) Messstationen überschritten. In «normalen» Jahren wird dieser Grenzwert an ein bis zwei Messstationen überschritten und nur in den «kühlen» Jahren 2008, 2014 und 2016 verzeichnete keine einzige Messstelle ein Überschreiten der Letaltemperatur (Abb. 3).


Am wenigsten Temperaturprobleme weisen erwartungsgemäss diejenigen Gewässer auf, deren Einzugsgebiet  stark vergletschert ist (Aare Bern und Brugg, Ticino) oder die vollständig im Mittelland liegen und relativ kurze Fliessstrecken aufweisen (Mentue, Venoge). Die Thur gehört dagegen zu den stark vom Klimawandel betroffenen Flüssen, da sie auf langer Strecke durch das tiefer gelegene Mittelland fliesst und zudem teilweise nur Restwasserführung mit geringen Wassertiefen aufweist. Am stärksten betroffen waren bisher die grossen Mittellandflüsse Rhein, Limmat und Reuss, bei welchen das Wasser in einem Zwischenspeicher (Bodensee, Zürichsee und Vierwaldstättersee) im Sommer stark aufgeheizt wird. So werden denn auch Thur, Hochrhein, Unterlauf von Reuss, Limmat und Aare in einer Risikoklassierung des BAFU aufgrund detaillierter Analysen des Hitzesommers 2003 als «Hochrisikoflüsse mit Temperatur-Mortalitätsrisiko » ausgewiesen (BAFU et al. 2004).

In einer Studie zur Verbreitung von 21 Fischarten anhand ihrer Habitatansprüche in England konnte gezeigt werden, dass die Äsche nur eine schmale Bandbreite der vorherrschenden Temperaturen besetzen kann. Die Autoren schlussfolgerten, dass kaltstenotherme Arten wie die Äsche dem Klimawandel deshalb stärker  unterworfen sind als eurytherme Arten, da sie eine geringere Toleranz gegenüber Änderungen der thermischen Nische aufweisen (Logez et al. 2012). Verbreitungsmodelle unter Einbezug von Veränderungen der Januar- und Julitemperaturen und der Niederschläge zeigen, dass die Äsche in Österreich mit dem fortschreitenden Klimawandel beträchtliche Habitatverluste und damit eine wesentliche Verkleinerung des Verbreitungsgebietes zu erwarten hat (Pletterbauer et al. 2016). Werden diese Erkenntnisse auf die Schweiz übertragen, muss davon ausgegangen werden, dass inden wichtigsten Äschenstrecken von nationaler Bedeutung die Äsche bei  fortschreitender Klimaerwärmung in Zukunft noch stärker unter Druck geraten und aus einzelnen  Flussabschnitten möglicherweise ganz verschwinden wird. Diese Gefahr ist umso grösser, als die Äsche aufgrund der Flussgefälle und der Fliessgeschwindigkeiten nicht in höher gelegene und kühlere Gewässer ausweichen kann, wie dies bei terrestrischen Organismen beobachtet werden kann.

Aqua Viva Aeschen

Fangstatistik der Anglerfänge für den Wels in Bielersee (BiS), Zihlkanal und in der bernischen Aare zwischen Bielersee und Kantonsgrenze BE/AG (Daten: Fischereiinspektorat des Kantons Bern)

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, sind vor allem lokale Massnahmen zur Habitataufwertung notwendig. Für den Hochrhein zwischen Untersee und Schaffhausen wurde nach dem Hitzesommer 2003 ein Notfallkonzept erarbeitet, das im Hitzesommer 2018 mit rekordhohen Wassertemperaturen bis 28 Grad umgesetzt wurde. Nebst dem Ausheben tiefer Pools bei den Mündungen kleiner Zuflüsse mit etwas kühlerem Wasser und in Bereichen mit einsickerndem, kühlem Grundwasser wurden auch Schutzzonen ausgewiesen, damit kühlere Rückzugsorte nicht durch badende Menschen und Haustiere oder Bootsfahrten gestört wurden. Ebenso wurde eine Beschattung der Wasserfläche durch Pflanzung einer Uferbestockung (erst längerfristig wirksam) oder Aufspannen von Sonnensegeln (kurzfristig realisierbar) propagiert, um die Wassererwärmung durch Reduktion der Sonneneinstrahlung zu reduzieren. All diese Massnahmen waren verbunden mit intensiver Information der Öffentlichkeit, die dadurch viel Verständnis für temporäre Einschränkungen und Baustellenbetrieb zeigte. Mit solchen Massnahmen, die in Zusammenarbeit der Fischereivereine mit kantonalen und kommunalen Behörden und grösstenteils in Fronarbeit von Fischern realisiert wurden, konnten die Verluste an Äschen im Hochrhein im Hitzesommer 2018 gegenüber dem Hitzesommer 2003 deutlich reduziert werden.

Der Wels – ein Klimawinner

Ein Beispiel für eine entgegengesetzte Reaktion auf den Klimawandel ist der Wels (Silurus glanis), eine  eurytherme Warmwasserart. Der Wels ist in asiatischen Gewässern und im Donauraum zu Hause und von daher an ein kontinentaleres Klima mit grösseren Temperaturschwankungen angepasst. Er hat die mittel- und westeuropäischen Gewässer im Zuge der nacheiszeitlichen Kolonisierung von der Donau her erobert und lebte bei uns bis in die 1980er Jahre vorwiegend in den Seen und vereinzelt in Flüssen des Jurasüdfusses. In den letzten zwanzig Jahren konnte eine starke Vermehrung der Welspopulationen vor allem in der Aare und im  Hochrhein beobachtet werden. Die Fangstatistik des Fischereiinspektorates des Kantons Bern zeigt diese  Entwicklung beispielhaft auf (Abb. 4). Gemäss diesen Daten haben die Welsfänge ab etwa 2005 markant  zugenommen. Dies kann mit dem Hitzesommer 2003 erklärt werden. Da der Wels für die Fortpflanzung eine Wassertemperatur von 20 bis 23 Grad und die Eier bis zum Schlüpfen 60 bis 70 Tagesgrade mit möglichst geringen Schwankungen benötigen (MIHLAIK 1995), kam diese Art bei uns früher nicht jedes Jahr erfolgreich zur Fortpflanzung und die Bestände blieben relativ klein. Im Sommer 2003 waren die Bedingungen für diese  wärmeliebende Art jedoch ideal und etwa drei Jahre später begannen die Fänge deutlich häufiger zu werden. Seither findet der Wels fast jeden Sommer ideale Temperaturbedingungen und die Bestände in den Jurasüdfussseen, der Aare und im Hochrhein bleiben konstant hoch. Wie diese beiden Beispiele zeigen, gibt es
mit dem Klimawandel im Wasser sowohl Verlierer als auch Gewinner. Umso wichtiger erscheint unter diesem Aspekt die Verbesserung der Strukturvielfalt in unseren Flüssen – Vernetzung mit Grundwasser und Zuflüssen, Bestockung etc. – damit hitzeempfindliche Organismen kritische Phasen besser überstehen können.

Hier der Link des Artikels von Aqua Viva als PDF mit allen Quellenangaben etc..

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