Die Schweizer Berufsfischer holen immer weniger Fische aus ihren Netzen. Sie begründen die sinkenden Fangerträge in den Seen mit dem Ausbau der Abwasserreinigungsanlagen und klagen, dadurch seien die Gewässer heute zu nährstoffarm. Doch die Gründe für rückläufige Fangmengen und die Probleme ihres Berufsstandes sind vielschichtiger.
Von Hansjakob Baumgartner und Beat Jordi
3922 t Fisch gingen den einheimischen Berufsfischern im fetten Jahr 1992 in die Netze – mehr denn je im 20. Jahrhundert. Bei den kommerziell wichtigsten Arten Felchen und Egli wurden die Rekordwerte gemäss der Eidgenössischen Fischereistatistik 1992 beziehungsweise 1986 erreicht. Allerdings hatte der Fangerfolg einen weniger erfreulichen Aspekt, waren doch die meisten Seen in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren mit Phosphor überdüngt. Er gelangte entweder aus Fäkalien und Waschmitteln via die Kläranlagen in die Gewässer oder durch die Abschwemmung von phosphorhaltigem Dünger aus der Landwirtschaft.
Überdüngte Gewässer
Je mehr Phosphor im Wasser gelöst ist, desto üppiger wachsen die Algen. Sie bilden die Basis der Nahrungspyramide, an deren Spitze die Fische stehen. Entsprechend hoch ist in nährstoffreichen Gewässern die Fischbiomasse. Was die Natur produziert, muss sie allerdings auch wieder entsorgen. Im Herbst sinken die abgestorbenen Algen in die Tiefe, wo sie von Mikroorganismen abgebaut werden. Diese Zersetzung benötigt Sauerstoff, der in tieferen Wasserschichten bereits im Spätherbst weitgehend aufgezehrt ist, wenn die Organismen zu viel zu tun haben. So war es vor 30 Jahren in manchen hiesigen Seen. Am Grund erstickte alles Leben – auch die Brut der Fische. Etliche Felchenarten sind Grundlaicher. Dass die Fischer weiterhin Felchen fangen konnten, war nur dank Zuchtanstalten möglich, in denen die Eier künstlich erbrütet wurden.
Erfolgreicher Gewässerschutz
Ab den 1980er-Jahren erfolgte die Ausrüstung der Abwasserreinigungsanlagen (ARA) mit der Phosphatfällung, und 1986 erliess der Bund ein Phosphatverbot für Textilwaschmittel. Diese Massnahmen – in Kombination mit der späteren Ökologisierung der Landwirtschaft – brachten den Seen die dringend benötigte Abmagerungskur. Damit nähern sich etliche dieser Ökosysteme wieder dem Zustand vor der Überdüngung an. Vor allem in seenahen Regionen mit intensiver Tierhaltung – wie etwa in den Einzugsgebieten von Sempacher- und Baldeggersee – gelangt aber immer noch deutlich zu viel Phosphor in die Gewässer. In anderen Regionen, wo der Nährstoffeintrag markant abgenommen hat, können sich am Grund laichende Fische mittlerweile wieder auf natürliche Weise fortpflanzen. Auch für Wasserpflanzen und wirbellose Tiere mit einer Vorliebe für nährstoffarme Verhältnisse sind wieder bessere Zeiten angebrochen. So tummeln sich heute im Zürichsee doppelt so viele Planktonarten wie in den 1970er-Jahren.
Doch auch dieser Erfolg hat eine Kehrseite. Wie erwartet hat das reduzierte Nährstoffangebot die Nahrungsbasis der Fische geschmälert, sodass auch die Fangerträge der Berufsfischer deutlich eingebrochen sind. «Wenn es so weitergeht, stirbt die Berufsfischerei in der Schweiz in den nächsten 20 Jahren aus», befürchtet Silvano Solcà, Fischer am Bielersee, der bis März 2016 den Schweizerischen Berufsfischerverband präsidierte. «Bei einem Gehalt unter 5 Mikrogramm Phosphor pro Liter (µg P/l) ist eine existenzsichernde Berufsfischerei nicht mehr möglich», sagt Josef Muggli, der ehemalige Fischerei- und Jagdverwalter des Kantons Luzern. Im Vierwaldstättersee liegen die Werte derzeit bei 2 bis 4 µg/l, im Bodensee sind es 6 bis 7 µg/l.
Absage an höhere Phosphorgehalte
Das sei zu wenig, findet der Berufsfischerverband. Er fordert einen unteren Grenzwert für den Phosphorgehalt im Seewasser, der die Trinkwassernutzung gewährleistet, die Biodiversität der Wasserorganismen sichert und zugleich auch ausreichende Fangerträge ermöglicht. Die Jagd- und Fischereiverwalterkonferenz (JFK), ein Zusammenschluss aller kantonalen Jagd- und Fischereibehörden, unterstützt dieses Anliegen.
Jeder See ist anders und reagiert auch unterschiedlich auf Veränderungen der Phosphorgehalte. Der Grenzwert müsste deshalb seespezifisch festgelegt werden. Er dürfte im Bereich von 5 bis 10 µ/l liegen, schätzt die JFK. Was wäre bei einer Unterschreitung dieses Wertes zu tun? Sicher würde man nicht mit einem Düngerschiff auffahren und Phosphor in den See kippen. Vorgeschlagen wird, im Bedarfsfall die Phosophatfällung in einzelnen Kläranlagen zu reduzieren. «Vielfach würde es reichen, den gesetzlich vorgeschriebenen Rückhaltewert bloss zu erfüllen, statt ihn zu übertreffen», meint Josef Muggli. Bundesrätin Doris Leuthard hält den verschiedenen Forderungen entgegen, die Reduktion der Nährstoffe in den Seen bleibe ein umweltpolitisches Ziel, auch wenn die zunehmende Sauberkeit der Gewässer zu kleineren Fangerträgen führe. «Das ist eigentlich etwas Natürliches, für das man gekämpft hat und das man nicht rückgängig machen sollte», betonte sie in der Herbstsession 2015 im Nationalrat. Auch für Stephan Müller, der beim BAFU den Bereich Wasser leitet, «wäre eine Erhöhung der Phosphoreinträge aus Abwasserreinigungsanlagen ein Rückschritt für den Gewässerschutz – zumal bei der Phosphatelimination auch andere Schadstoffe wie Schwermetalle, organische Verbindungen und Mikroverunreinigungen zurückgehalten werden.» Seiner Ansicht nach droht eine aktive oder passive Düngung der Seen – durch eine bewusste Anhebung des Phosphorgehalte – die in den letzten Jahrzehnten erzielten Erfolge der Gewässerschutzpolitik zu untergraben: «Insbesondere würde die Biodiversität unserer Seen potenziell gefährdet, da die natürlicherweise hier vorkommenden Arten langfristig nur in naturnahen, nährstoffarmen Gewässern überleben können.»
Das Fehlen naturnaher Uferzonen
Früher gelangten Nährstoffe auf natürliche Weise auch aus unverbauten Ufergebieten in die Seen. Die Einträge in die als Lebensraum für Fische sehr wichtigen Uferzonen erfolgten aus ufernahen Wäldern und Riedwiesen, die jeweils nach der Schneeschmelze unter Wasser standen, oder aus den von Flüssen periodisch überfluteten Auen. «Diese Dynamik funktioniert heute viel weniger, weil die Fliessgewässer gezähmt sind», erklärt Andreas Knutti, Fischereibiologe und Chef der Sektion Lebensraum Gewässer beim BAFU. «Manche Flachwassergebiete an den Seeufern hat man aufgeschüttet und überbaut und die meisten Seespiegel reguliert.»
Zwar wird heute einiges getan, um die Seeufer und Auen zu renaturieren. Doch die Massnahmen bleiben vorerst punktuell und in ihrer Wirkung lokal begrenzt. Ein Phosphormanagement durch die Steuerung der Nährstoffzufuhr aus Kläranlagen könnte die natürlichen Verhältnisse indessen auch nicht wieder zurückbringen, zumal die überschwemmten Ufer und die dynamischen Zuflüsse früher auch als Laichgründe und Kinderstuben für etliche Fischarten essenziell waren. Deshalb ist die Renaturierung der Ufer weiter voranzutreiben.
Geringer Verdienst
Im Herbst 2015 hat der Nationalrat einen Vorstoss seiner Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) überwiesen, mit dem er das BAFU beauftragt, einen Bericht zur Berufsfischerei zu erarbeiten. «Es geht darum, eine Auslegeordnung zu erstellen und Empfehlungen für eine zukunftsfähige und biodiversitätsverträgliche Nutzung der einheimischen Ressource Fisch zu unterbreiten», sagt Andreas Knutti.
2014 gab es hierzulande noch 270 professionelle Fischer und 14 Berufsfischerinnen, von denen ein Drittel bereits das AHV-Alter erreicht hat. Die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich sinkt stetig, wobei der Abwärtstrend schon nach dem 2. Weltkrieg begann. Er hielt auch in den Zeiten maximaler Fangerträge an, weil es in anderen Branchen bessere Verdienstmöglichkeiten gab. Eine Studie der landwirtschaftlichen Beratungszentrale Agridea über die wirtschaftliche Situation der Bodenseefischerei zeigt, dass der Arbeitsverdienst pro Stunde bei bloss 17 CHF liegt. Die Betriebe können nur dank Nebeneinkommen überleben, denn Subventionen – wie in der Landwirtschaft – gibt es für Berufsfischer nicht.
«Projet Lac»
Wissenschaftliche Grundlagen für den BAFU-Bericht zur Berufsfischerei liefert das Projet Lac des Wasserforschungsinstituts Eawag. Welche Arten kommen in welchen Beständen vor? Wie setzen sich die Populationen bezüglich Grösse und Alter der Fische zusammen? Wie verteilen sich die Fische im See? Mit Netzen unterschiedlicher Maschenweite – und im ufernahen Bereich auch mittels Elektrofischerei – wird die Fischfauna der grossen Schweizer Seen erstmals systematisch erfasst. «Die Ergebnisse des Projet Lac werden zeigen, wie es um die Biodiversität und die Bestände der Fische in den Seen steht», sagt Projektleiter Ole Seehausen. «Sie werden es auch ermöglichen, die fischereiliche Nutzung zu optimieren.» Bereits liegen Resultate für mehrere Seen vor .
In den UREK-Bericht sollen auch Überlegungen zu den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und zu möglichen Fördermassnahmen für die Berufsfischerei einfliessen. Die Jagd- und Fischereiverwalterkonferenz (JFK) hat ein Papier dazu verfasst, das eine weitere Optimierung der Wertschöpfungskette vorschlägt – so etwa durch das Räuchern der Fische, die Aufbereitung zu Convenience Food, Gastro-Angebote im Fischereibetrieb oder durch Catering. Das Potenzial solcher Massnahmen sei allerdings zu schätzungsweise 80 % ausgeschöpft, schreibt die JFK. Weitere Stichworte sind ein Label «Wildfang aus Schweizerseen», wie es in der Romandie bereits seit kurzem besteht, Investitionshilfen für Betriebsoptimierungen und Entschädigungen für gemeinwirtschaftliche Leistungen – wie zum Beispiel für die Laichfischerei.
«Der Bund will seine Verantwortung für die gesetzlich vorgeschriebene Erhaltung und nachhaltige Nutzung der einheimischen Fische wahrnehmen», betont Andreas Knutti. «Eine Berufsfischerei mit gesunden Betrieben soll weiterhin möglich sein.» Letztlich steht aber auch die Kundschaft in der Verantwortung. «Sie bestimmt mit ihrem Konsumverhalten und ihrer Zahlungsbereitschaft, ob die Berufsfischer von einheimischen Fischen leben können. Denn es gilt als unbestritten, dass einheimischer Fisch ökologisch einwandfrei und als echter Wildfang ein nachhaltiger Genuss ist», sagt Andreas Knutti.