Gute Väter beissen öfter oder wie Fischerei die Evolution von Fischpopulationen beeinflussen kann
Evolution durch Angeln?
Auch vor der Angelfischerei macht die Evolution als Antwort auf die Fischerei wohl nicht Halt: Diverse wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass erkundungsfreudige Fische öfter an den Haken gehen, als ihre vorsichtigeren Artgenossen. Andere Experimente zeigen, dass Charaktereigenschaften wie „erkundungsfreudig sein“ oder „vorsichtig sein“ teilweise in den Genen der Fische gespeichert sind und vererbt werden. Werden diese Erkenntnisse kombiniert, muss davon ausgegangen werden, dass Angeln bei Fischen eine im Erbgut gespeicherte Veränderung in Richtung schüchternere und vorsichtigere Fische verursachen kann.
Eine Serie von Untersuchungen aus den USA demonstriert das Zusammenspiel von Evolution und Angelfischerei anhand von Forellenbarschen (Micropterus salmoides) besonders überzeugend (Abbildung 2). Forellenbarsche sind Raubfische, die natürlicherweise in Seen in Nordamerika zu finden sind. Heute sind sie aufgrund ihrer Attraktivität für die Fischerei und Besatzmassnahmen auch in zahlreichen Gewässern ausserhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes zu finden. Vor der Laichzeit bauen die Fische Nester, welche sie während der Entwicklungszeit der Eier und der jungen Fischlein bewachen und gegen mögliche Bruträuber verteidigen.
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Abbildung 2: Forellenbarsche bauen Nester und betreiben Brutpflege. Wissenschaftliche Untersuchungen deuten darauf hin, dass gerade die besten Väter besonders oft an die Angel gehen und dies zu evolutionären Veränderungen im Brutpflege-Verhalten von stark befischten Forellenbarsch-Populationen führt. Abbildung von Raver Duane, U.S. Fish and Wildlife Service
Gute Väter beissen öfter
In einem fast 30-Jahre dauernden Experiment konnten Forschende aus den USA zeigen, dass die Aggressivität der Forellenbarsche eine genetische Komponente hat, also vererbt wird. Dazu setzten sie individuell markierte Forellenbarsche in mehrere künstliche Angelteiche und befischten sie während einer Saison, auch während der Laichzeit. Gefangene Fische wurden wieder zurück gesetzt und dank der Markierung konnte für jeden Fisch genau verfolgt werden, wie oft er während einer Angelsaison an den Haken ging. Während der Fortpflanzungsperiode attackieren Forellenbarsche die Köder in erster Linie aus Aggressivität, weil sie Eindringlinge von ihrem Territorium und ihrem Nest fernhalten möchten. Die Häufigkeit mit der ein Fisch gefangen wurde, ist also weniger ein Hinweis dafür wie hungrig dieser Fisch war, sondern eher dafür, wie aggressiv er ist.
Nach abgelaufener Fangsaison wurden die Forellenbarsche in zwei Gruppen unterteilt: Die eine Gruppe bestand aus Fischen, die im Vorjahr mehr als fünf Mal gefangen wurden („aggressive Gruppe“) und die andere Gruppe aus Fischen, die in der vorhergehenden Saison nie gefangen wurden („nicht-aggressive Gruppe“). Fische beider Gruppen wurden danach getrennt weitergebrütet und ihr Nachwuchs wurde wiederum individuell markiert. Diese Nachkommen wurden als einjährige Fische dann in die Angelteiche gesetzt und ein paar Jahre später experimentell befischt, um sie für die Weiterzucht wiederum in besonders aggressive und besonders zurückhaltende Individuen einzuteilen. Dieses künstliche Ausleseverfahren wurde insgesamt drei Mal wiederholt. Anschliessend wurden zahlreiche Merkmale der Fische beider Gruppen miteinander verglichen, um zu prüfen, ob bei Forellenbarschen evolutionäre Veränderungen durch Angeln hervorgerufen werden können.
Die Resultate zeigten ein klares Bild: Fische der aggressiven Gruppe hatten einen deutlich erhöhten Ruhepuls und mussten mehr Futter zu sich nehmen, um ihr Gewicht zu halten als Fische der nicht-aggressiven Gruppe. Zudem verteidigten die aggressiven Fische ihr Nest in Experimenten konsequenter gegen Nesträuber und kehrten nach einem Angriff gegen einen möglichen Nesträuber deutlich schneller wieder zu ihrem Nest zurück als die nicht-aggressiven Fische. Aber das war noch nicht alles: In Partnerwahl-Experimenten pflanzten sich wilde Forellenbarschweibchen bevorzugt mit Männchen der aggressiveren Gruppe fort und diese Paarungen brachten mehr Nachwuchs hervor als Paarungen mit nicht-aggressiven Fischen. Kurz und gut: Fische der aggressiveren Gruppe sind die besseren Väter als Fische der nicht-aggressiven Gruppe.
Die Autoren gingen noch einen Schritt weiter und prüften, ob die Resultate ihrer Experimente auch unter natürlichen Bedingungen von Bedeutung sein könnten. Dafür untersuchten sie acht Seen mit unterschiedlichem Fischereidruck, beobachteten schnorchelnd über 500 Nester von wilden Forellenbarschen und bewerteten die Aggressivität der Männchen. Basierend auf den Beobachtungen während den Experimenten erwarteten die Forscher einen Zusammenhang zwischen der Aggressivität der Fische und dem Fischereidruck, den die Fische in der Vergangenheit erfahren hatten. Ihre Voraussagen trafen ins Schwarze: In nicht befischten Seen waren die Forellenbarsche deutlich aggressiver als in Seen mit Angelfischerei. Es scheint, als hätte die Angelfischerei auch in der Natur tiefere Aggressivität gefördert und so aus guten Vätern weniger gute Väter gemacht.
Mögliche Massnahmen
Die möglichen Folgen von ungewollten evolutionären Veränderung als Antwort auf die Fischerei sind vielfältig und schliessen einen Verlust von genetischer Vielfalt und kleinere fischereiliche Erträge mit ein. Für Fischereimanager kann es sich also lohnen, die Fischereivorschriften im Hinblick auf die in diesem Artikel beschriebenen Erkenntnissen zu überprüfen.
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Abbildung 3: Wissenschaftliche Studien über den Nutzen von Fischerei-Schongebieten gibt es bisher vor allem aus Schutzgebieten in Meeren. Untersuchungen über die Folgen von Schutzgebieten im Süsswasser und in Fliessgewässern sind heute noch Mangelware. Foto von Samuel Gerhard, Kanton Aargau
Die Gefahr von durch die Fischerei ausgelösten evolutionären Veränderungen ist besonders hoch, wenn der Fischereidruck gross ist. Grundsätzlich wird das Risiko dafür also durch Massnahmen gesenkt, die den Fischereidruck reduzieren. Weiter sinkt die Gefahr auch, wenn die Selektivität der Fischerei reduziert wird. Mit Zwischenschonmasse können beispielsweise auch schnell-wachsende Fische geschützt werden. Oder bei den Forellenbarschen in Nordamerika sollten während der Fortpflanzungsperiode Schonzeiten verhängt werden, damit besonders aggressive Fische (und gute Väter) weniger häufig gefangen werden. Gemäss theoretischen Betrachtungen und mathematischen Modellen gilt auch die Schaffung von Fischerei-Schongebieten (Abbildung 3) als eine vielversprechende Massnahme, um die Gefahr von ungewollten evolutionären Veränderungen zu senken. Werden Schongebiet geschaffen, können in räumlich definierten Zonen die natürlich herrschenden Selektionsdrücke spielen und so hat die Fischerei insgesamt einen schwächeren Einfluss auf die Evolution der Fische. Diverse wissenschaftliche Untersuchungen in Schutzgebieten in Meeren berichten auch von positiven Effekten von Fischereischongebieten auf die Häufigkeit von Fischen, die Altersstruktur von Fischpopulationen und die fischereilichen Erträge ausserhalb von Schongebieten.
Bänz Lundsgaard-Hansen und Corinne Schmid, FIBER
Auszug aus Newsletter 01/2017: http://www.fischereiberatung.ch/newsletter/Newsletter_01_17/index#hauptartikel
2 Kommentare
Eigentlich müsste dies ein Anstoss mehr sein, einiges zum Thema «Tierschutz» in der Angelfischerei zu überdenken (Stichwort: Entnahme … oder nicht) . In anderen Ländern gibt es «no kill» Abschnitte
Eigentlich liefert diese Studie gute Argumente, einiges im Tierschutz in Bezug auf die Angelfischerei zu überdenken, gerade auch zu C&R / «no kill» als in der Schweiz verpönter Schonmassnahme.