Wenn man sich für die Fischerprüfung vorbereitet, lernt man unter anderem die verschiedenen «Fischarten» kennen. Darunter die Bachforelle, die Seeforelle und vielleicht sogar die Meerforelle. Doch sind das wirklich verschiedene Fischarten?
Jede beschriebene Art im Tierreich hat einen internationalen Namen, der sich aus dem Namen der Gattung und dem Artnamen zusammensetzt. Im Fall der atlantischen Forelle ist das Salmo (Gattung) trutta (Art). Unsere heimische Bachforelle heisst Salmo trutta, unsere Seeforelle heisst Salmo trutta und auch die Meerforelle heisst Salmo trutta. Es gehören also alle drei Fische zur Art Salmo trutta. Es ist demnach jedesmal ein und dieselbe Fischart. Im Fischereialltag lassen sich Bach-, See- und Meerforellen problemlos unterscheiden. In der Regel fängt man Bachforellen im Fliessgewässer, Seeforellen im See und Meerforellen im Meer. Nun gibt es aber zum Beispiel Seeforellennachwuchs, der sich nicht dazu entschliesst in den See zu wandern. Vater und Mutter sind stolze Seeforellen, der Sohnemann möchte aber lieber eine Bachforelle sein!?! Die Smoltifizierung (Erlangung der Bereitschaft für das Abwandern ins Meer bzw. in den See) scheint nicht von der Genetik, sondern von Umweltfaktoren abhängig zu sein.
Somit wissen wir bereits, dass die bei Fischern gängige Nomenklatur für die atlantische Forelle nicht auf die Genetik bzw. die biologische Systematik verweist. Wenn wir Fischer von verschiedenen Fischarten sprechen, meinen wir Fische, die uns verschiedenartig erscheinen. Das hat allerdings mit der Art als taxonomische Rangstufe nicht viel zu tun. Der Begriff Art wird je nach biologischer Fachrichtung anders definiert. Bei Wirbeltieren ist die (natürliche) Forpflanzungsbarriere ein gutes Kriterium für die Definition einer Art.
Das allem zu Grunde liegende Problem ist die Tatsache, dass die Systematik einen dynamischen Prozess (Evolution) mit einem starren Konzept zu beschreiben versucht. Arten sind aber nicht das Produkt des Prozesses, sie sind der Prozess selbst. Um dies zu verstehen, muss man jegliche Schöpfungsromantik ausblenden. Auch viele Systematiker sind dem Drang nach Klarheit und Ordnung erlegen. In diesem Übereifer (und vor allem vor Einführung von Genanalysen!) entstanden die Namen Salmo trutta trutta (Meerforelle), Salmo trutta lacustris (Seeforelle) und Salmo trutta fario (Bachforelle). Die Namen trutta, lacustris und fario bezeichnen dabei die Unterart. Dass diese Bezeichnungen nicht viel biologischen Sinn ergeben, wird sofort klar, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass aus Seeforellengenetik Bachforellen entstehen können. Im Prinzip sind das bloss geografische Bezeichnungen, also Standortvarianten. Im besten Fall lassen sie Rückschlüsse über die Lebensweise des bezeichneten Individuums zu. Wie wir gesehen haben, fühlt sich aber eine Forelle nicht dazu verpflichtet, ihrem Taxonom-Zusatz (Unterartsbezeichnung) gerecht zu werden. Insofern haben die Unterartsbezeichnungen im Fall der atlantischen Forelle wenig taxonomischen Wert. Schon eher sind sie als Trivialnamen anzusehen. Ihre Existenz verdanken sie der Tatsache, dass sich der Mensch überdurchschnittlich für die bezeichnete Tierart interessiert und vor kleineren oder grösseren Problemen bei ihrer taxonomischen Einordnung steht. Die Einteilung von Arten in Unterarten ist oft eine Verlegenheitslösung. Das Schöne daran: Jeder von uns kann ein bisschen Systematiker spielen. Die Flussforelle wurde im Zuge dessen bereits erfunden. Ich beschreibe zur Feier des Tages nun die Kanalforelle: Salmo trutta canalis.
Und was bedeutet das nun für uns Fischer? Die «sauberste» Variante wäre es, jede Bach-, See- und Meerforelle als atlantische Forelle (Salmo trutta) zu bezeichnen. Da das natürlich nicht passieren wird, brauchen wir Unterscheidungsmerkmale. Am einfachsten ist sicher die Einteilung nach Lebensweise: Eine atlantische Forelle, die den Grossteil ihres Lebens im Bach verbringt, nennen wir dann Bachforelle. Lebt die Forelle hauptsächlich im Meer, ist es eine Meerforelle. Natürlich ist diese Einteilung nicht hieb- und stichfest. Was ist mit einer rot gepunkteten atlantischen Forelle, die in einen flachen Bergsee eingesetzt wird? Was ist mit einer atlantischen Jungforelle vor der hypothetischen Smoltifizierung im Bach? Die Fragen kann man nicht beantworten − dafür kann man vorzüglich darüber streiten.
Nino von Burg, Fotos: Pascal Bader